Unter günstigen Umständen hätte uns Young Directors Award-Gewinnerin Isabel Prahl die Geschichte von freundlichen und weniger morbiden Menschen erzählen können, die sich Lebenswünsche jenseits ihres handelsüblichen Reihenhauses und der nahegelegenen Klinik erfüllen.
In Zeiten von Sozialabbau und Dumpinglöhnen sind die Umstände aber nicht günstig und die Alltagsbedingungen des Durchschnittsbürgers in der hochdifferenzierten Gesellschaft Deutschlands schon gar nicht, denn wir sind komplett durch-amerikanisiert.
Filmessay: 1000 Arten Regen zu beschreiben (2018) – Das einmal erreichte Entfremdungsniveau einer familiären Misserfolgsgeschichte
Regie: Isabel Prahl
1000 ARTEN REGEN ZU BESCHREIBEN ist ein kruder Mix aus Gegenwartskritik, Jugenddrama, Familientragödie und Umweltsünden-Bashing und zeigt den Protagonisten Mike (Béla Gabor Lenz) nur ein einziges Mal am Filmende von hinten, obwohl er von Beginn an alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Signale der Abschwur und Totalverweigerung charakterisieren diesen Teenager, der die Eltern Thomas (Bjarne Mädel), seine Mutter Susanne (Bibiana Beglau) und Schwester Miriam (Emma Bading) in einen feigen und rücksichtslosen Erduldungszustand zwingt. Bis auf weiteres müssen sie mit handgeschriebenen örtlichen Regenfall-Meldungen Vorlieb und vor seiner Zimmertür am Boden Platz nehmen. „Er ist ganz normal. Eigentlich.“ – so das Fazit eines als Arzt auszumachenden älteren Herrn.
Die ‚deutsche Familie‘ sucht nach neuen Denk- und Gefühlshorizonten. Sie will Ablösung von Herkunft und Zukunft um ganz im Hier sein zu können. Bloß keine Weltöffnung, denn die verlangt restaurative Vorstellungskompetenz. Obwohl er selbst sozial hohl bleibt mahnt Papa Thomas punktuell zur gesellschaftlichen Verantwortung. Wer nicht handelt findet keinen Sprachgestus! – in dieses Dilemma haben sich die Protagonisten verfangen und finden den Ausweg nicht mehr.
1000 ARTEN REGEN ZU BESCHREIBEN will den basalen Differenzierungstrieb des Filmsehers brechen, indem er ihn einer paradoxen Gedulds- und Zerreißprobe unterzieht. Die inflationäre Reduktion von Decodierungsalternativen zwingt die zuschauerliche Wahrnehmung in einen sehr eindimensionalen Identifikationstorso. Diese Familie predigt Loyalitätssphären, wo sie das Loyalitätsklima doch stets vernachlässigte – so jedenfalls sieht es Sohn Mike, dessen familiäre Umwelt als komplett zerstört anzusehen ist, womit sich der Kreis zum feuchten Umweltsünden-Bashing schließt.
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Trailer
Prahls Film erzählt nicht in herkömmlicher Weise von jener dystopischen Gesellschaft, von der uns die Fassbinders und Schlöndorffs so leidenschaftlich gerne erzählten. Keine das eigene Bewusstsein kappende, repressive Selbstreflektion, welche für diese kammerspielartige Lethargie haftbar zu machen wäre. Erzählerisch immun gegen jede denkbare Erschließung positiv gelagerter Erinnerungsräume, geriet Prahls deutsche Mittelstandsfamilien- und Kommunikationsfabula zu einem selbstquälerischen Isolations- und Opfermärchen.
Ein wenig wirkt es so als wollte man mit Mikes Geschichte die absolutistische Erbuntertänigkeit für die Gegenwart neu entdecken, weil man der Auffassung ist: preußischer Gehorsam war doch gut!? Es geht um die Frage, wo das Ich seinen Fixpunkt im Zuhause finden und dort belassen kann. Wer dabei stört sorgt dafür, dass sich der Fensterrolladen um weitere Zentimeter absenkt. Der Versuch Kafkas Samsa in der ‚Verwandlung‘ hineinzudeuten wäre klischeehaft – dafür magelt es 1000 ARTEN REGEN ZU BESCHREIBEN auch zu sehr an Vervollkommnungsmotivation.
1000 ARTEN REGEN ZU BESCHREIBEN will opfertaugliche Grenzerfahrungen ergründen, doch mangelt es dem Drehbuch an Gespür für eine überzeugende Ilussion des Besonderen. Es ist die miesepetrige Grundstimmung, die uns weite Intervallgrenzen vorgibt finsterste Gefühle in voller Auflösung auszukosten. Prahl zeigt sie uns, lässt sie uns spüren – trägt vor, fasst nach, wird aber niemals wirklich tiefgründig dabei. Prahls Eindrücke sind depressive Winkelzüge und formieren einen widernatürlichen Antagonismus zwischen den Protagonisten. Die Dialoge und Interaktionen wirken zeitweise so steif und unbeweglich, als habe die Oberstufenmathematik dramaturgisch Pate gestanden. Andreas Köhlers Kameraeinstellungen filmen manchmal so gekonnt am Szenenspiel vorbei, dass sie es kaum schaffen die wenigen Fahrten hinter sich zu bringen, die der Film aufweist ohne aus der Puste zu kommen.
Die mitteleuropäische Familienwelt scheint eine vergessene zu sein. Ihre einstige Hegemonie bestehend aus Brotbox und Haushaltsgeld im Hängeschrank über der Spüle – verschlungen vom unbändigen Gefühl nichts zu sein außer ein pflichterfüllendes fremdgesteuertes Objekt. Prahls Film besticht auch mit seiner außerordentlichen zur Schau getragenen Monotonie und Unattraktivität. Regelrecht versessen ist das Sujet darauf, die Mühsal zwischenmenschlicher Kommunikation im undurchdringbaren Windschatten unterdrückter Agressionen aufzusplitten. Umso mehr ist es ein Abgesang auf das zwanghafte ‚Wie geht’s Dir, mir geht’s gut‘-Gefasel. Ihm angeklammert ist ein Appell der good-old-germany-Gesinnung „Traut euch endlich die Schnauze voll zu haben von Euren unzähligen Masken, die euch einengen und euch von euch selbst entfremden.“
Text: © Stefan Bußhardt | Bilder: © Film Kino Text – Jürgen Lütz eK
Dies ist ein Gastbeitrag von Stefan Bußhardt.
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„Die inflationäre Reduktion von Decodierungsalternativen zwingt die zuschauerliche Wahrnehmung in einen sehr eindimensionalen Identifikationstorso.“ Kommen Sie mal klar…